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Abbildung: einfahrender Zug am Bahnsteig

Die Frage „Was gehört zur Arbeitszeit?“ beschäftigt regelmäßig die deutschen Arbeitsgerichte und auch den Europäischen Gerichtshof.
Nachdem in den letzten Jahren mehrere Entscheidungen zur Behandlung von Rufbereitschaften sowie Wege- und Umkleidezeiten als Arbeitszeit ergangen sind, hat sich das Bundesarbeitsgericht im Herbst 2018 mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit Reisezeiten zur Arbeitszeit gehören.

BAG-Urteil vom 17. Oktober 2018

Im streitigen Fall verlangte ein tarifgebundener Arbeitnehmer für eine Auslandsdienstreise die Vergütung für die gesamte aufgewendete Reisezeit. Das Besondere an dem Fall war die Tatsache, dass der Arbeitnehmer auf eigenen Wunsch einen Umweg in Kauf nahm und somit länger als erforderlich unterwegs war. Die Richter stellten klar, dass die Reisezeit, allerdings nur die erforderliche, vergütungspflichtige Arbeitszeit sei. Dies deckt sich mit den Regelungen des geltenden Tarifvertrags. Das Urteil war für viele Experten wenig überraschend. Es sollte Anlass sein, sich mit der Thematik Reisezeit und Arbeitszeit tiefer zu beschäftigen.

Unterscheidung in vergütungsrechtliche und arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit

Die Frage der Arbeitszeit hat eine vergütungsrechtliche und eine arbeitsschutzrechtliche Komponente. Zusätzlich sich Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Individualvereinbarungen in Arbeitsverträgen zu beachten.

Reisezeit und Arbeitsschutzrecht

Zunächst ist vor dem Hintergrund des Arbeitszeitgesetzes zu klären, inwieweit längere Dienst-reisen zu arbeitsschutzrechtlichen Problemen führen. Nach den geltenden Vorschriften darf die tägliche Arbeitszeit nicht mehr als 10 Stunden und die wöchentliche nicht mehr als 48 Stunden betragen. Unstreitig ist der arbeitstägliche Weg von der Wohnung zur regelmäßigen Tätigkeitsstätte keine Arbeitszeit. Soweit der Arbeitnehmer allerdings keine feste Tätigkeitsstätte hat (z. B. Kundendienstmonteur) hat, gilt die Reisezeit von der Wohnung zum ersten Kunden sowie der Heimweg am Abend als Arbeitszeit. Auch bei Dienstreisen von Arbeitnehmern sind unterschiedliche Fälle denkbar. Soweit der Arbeitgeber bestimmt, dass die Dienstreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln (z. B. Bahnfahrt) zu erfolgen hat und der Arbeitnehmer während der Reise keine Arbeit verrichten muss (z. B. Aktenstudium), gilt die Reisezeit nicht als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzes. Anders ist die Rechtslage, wenn der Arbeitnehmer während der Reise Akten studiert oder mit dem PKW selbst fährt. In diesen Fällen liegt Arbeitszeit vor; die Höchstgrenzen für die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit sind zu beachten.

Reisezeit und Vergütungsrecht

Ob Reisezeit zu vergüten ist, richtet sich grundsätzlich nach den einschlägigen Vorschriften des BGB und dem zugrunde liegenden Arbeitsvertrag. Gemäß § 611 I BGB hat der Arbeitgeber alle Leistungen des Arbeitnehmers zu vergüten, die mit seiner Tätigkeit oder mit der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen. Reisezeiten während der üblichen Arbeitszeiten sind grundsätzlich zu vergüten. Hierzu bedarf es keiner gesonderten Regelungen. Bei Reisezeiten außerhalb der üblichen Arbeitszeiten besteht zunächst kein Vergütungsanspruch. Ein solcher, dann gesetzlicher, Vergütungsanspruch kann sich jedoch im Einzelfall ergeben. Dies bedarf einer Tatsachenentscheidung durch das zuständige Gericht. Dabei sind Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Einem leitenden Angestellten ist – im Vergleich zu einem Kundendienstmonteur – eher zuzumuten, dass solche Reisezeiten außerhalb der üblichen Arbeitszeit nicht gesondert vergütet werden.

Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, Arbeitsvertrag als Regelungsgrundlage

Häufig regeln Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträge die o. g. Fragen. Diese Regelungen gehen den gesetzlichen Regelungen vor, soweit sie nicht zu einer Verschlechterung für den Arbeitnehmer führen.

Nichteinhaltung der Arbeitszeit – ein Kavaliersdelikt?

Gerade in der gegenwärtig wirtschaftlich guten Lage vieler Unternehmen kommt es aufgrund der Auftragslage und fehlender Fachkräfte, nicht selten zur Anordnung von Mehrarbeit für ihre Arbeitnehmer. Das Überschreiten der Höchstgrenzen der gesetzlich vorgeschriebenen täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit – zum Beispiel durch anzurechnende Reisezeiten – ist jedoch kein Kavaliersdelikt. Neben Bußgeldern drohen bei Arbeits- und Wegeunfällen in Verbindung mit Arbeitszeitüberschreitungen auch Strafverfahren und Regressansprüche der Berufsgenossenschaft.

Handlungsempfehlungen für Unternehmen

Auch wenn das BAG-Urteil vom 17. Oktober 2018 einen speziellen Fall (tarifgebundener Arbeitnehmer mit ungewöhnlich langer Reisezeit ins Ausland) betraf, sollten alle Unternehmen dieses Urteil zum Anlass nehmen, um ihre bestehenden kollektivrechtlichen und individualrechtlichen Regelungen zur Behandlung von Reisezeiten als Arbeitszeiten auf den Prüfstand zu stellen. Nichts tun, ist wohl die schlechtestes Option. Über Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge können durchaus auch arbeitgeberfreundliche Lösungen gefunden werden. Bestehende Dienstreiseregelungen sollten dahingehend überprüft werden, ob arbeitsschutzrechtliche Anpassungen (z. B. Einhaltung der gesetzlichen Höchstgrenzen für die Arbeitszeit) erfolgen müssen.

Wie ist die Abrechnung von Reisezeit in Ihrem Unternehmen geregelt ? Welche Besonderheiten sind zu beachten? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar.

Bildquelle: Unsplash, Fotograf: Reginar

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